Arbeiten bis zum Umfallen? Wenn Volontäre eine 70-Stunden-Woche haben.
Das BuchReport-Portal pubiz.de hat im Sommer 2016 eine Umfrage zum Thema Überstunden in der Verlagsbranche gestartet. 250 Teilnehmer gaben Auskunft. Die Auswertung zeigt, dass regelmäßige Mehrarbeit bei den Befragten weitgehend üblich ist. Allen voran leisten Führungskräfte die meisten Überstunden – 50 bis 80-Stunden-Wochen sind für Geschäftsführer und Abteilungsleiter keine Ausnahme. Nun gut, könnte man sagen, immerhin kompensiert ein gutes Gehalt so manchen Verzicht an Freizeit und Privatleben. Wenn aber Volontäre, die im besten Fall den gesetzlichen Mindestlohn erhalten, so viele Überstunden machen müssen, dann ist das ein skandalöser Befund, selbst wenn es sich um Einzelfälle handelt.
Keine Frage: Die Arbeit im Medienumfeld ist interessant und bietet gerade jungen Geisteswissenschaftlern eine berufliche Perspektive. Es muss auch niemand jammern, der mal abends länger im Unternehmen bleibt, um ein aktuelles Projekt voran zu bringen, oder am Wochenende ein Manuskript zu lesen hat. Ein Blick in andere Branchen zeigt: Überstunden fallen überall an und gewährleisten den Unternehmen, flexibel mit Auftragsspitzen umzugehen. Und nicht jede abgeleistete Überstunde ist ein Beweis für eine zu niedrige Personaldecke. Es wird auch Zeit verplempert durch Plaudern, ineffiziente Meetings und schlecht funktionierende Schnittstellen. Aber es stimmt durchaus bedenklich, wenn mehr als die Hälfte der befragten Fachkräfte, Volontäre und Abteilungsleiter meinen, die personellen Kapazitäten würden grundsätzlich nicht reichen, um die anfallenden Aufgaben in der Regelarbeitszeit zu bewältigen. Dass Geschäftsführer dies – mit Blick auf die Kosten – anders sehen, ist nachvollziehbar.
Mir, die ich seit 16 Jahren als Personalberaterin tätig bin, fällt auf, dass sich Kandidaten zunehmend häufiger nach vertraglicher Wochenarbeitszeit, Überstundenregelung und Home-Office-Option erkundigen, wenn sie ein Jobangebot erhalten. Und ich sehe ein massives Problem bei vielen Verlagen in Bezug auf Elternzeitvertretungen und flexiblen Arbeitszeiten. Einige Ressorts – insbesondere Lektorate und Presse – sind mehrheitlich in Frauenhand. Kinder und Familie stehen bei jungen Frauen (und auch Männern) hoch im Kurs. Das kollidiert nicht nur mit regelmäßigen Überstunden, sondern ist teilweise auch die Ursache dafür. Für kleinere Unternehmen ist es strukturell ziemlich schwierig, die Ausfälle zu kompensieren, denn qualifizierte Bewerber für befristete Elternzeitvertretungen sind rar. Wer kündigt schon seinen festen Vertrag, um für ein Jahr nach München, Stuttgart oder Hamburg zu gehen… Also wird zeitweise intern umgeschichtet und das Ergebnis heißt oft – Überstunden für das Team.
Beim Thema Familiengründung zeigt sich übrigens ein gesellschaftlicher Kultur- und Wertewandel. Bis vor ca. 10 Jahren waren Akademikerinnen überdurchschnittlich häufig kinderlos. Nach einer Umfrage der BücherFrauen aus dem 2010 (MehrWert. Arbeiten in der Buchbranche heute. Ulrike Helmer Verlag 2010) erwies sich die Medienbranche sogar als ein Arbeitsmarktfeld, in dem sehr hohe bis extreme hohe Kinderlosigkeit herrschte. Das scheint sich zu ändern und stellt die Arbeitgeber vor große Herausforderungen.
Stichwort Work-Life-Balance. Kürzlich sprach ich mit einer jungen, sehr qualifizierten Frau (promovierte Absolventin eines branchenbezogenen Studiengangs) über ein Stellenangebot. Die Position – gut bezahlt, international, hochinteressante Aufgaben – wäre für sie eine tolle Chance gewesen, aus ihrer etwas prekären und unsicheren Situation als wissenschaftliche Teilzeit-Angestellte herauszukommen. Leider hatte ich keinen Erfolg. Die junge Dame erklärte sehr kategorisch, dass sie nicht die Absicht habe, für eine berufliche Karriere ihren Wohnort zu verlassen, an dem ihre Familie und alle Freunde leben. Sie wusste zwar genau, dass es an ihrem Wohnort kaum potenzielle Arbeitgeber gibt, aber das änderte nichts an ihren Prioritäten.
Die Untersuchungen über die Generation Y sind Legion. Sie zeichnen das Bild einer hervorragend qualifizierten und leistungsbereiten Generation, die gleichwohl anders „tickt“ als ihre Vorgänger.
Dass die üblichen Arbeitgeber-Lockmittel bei vielen jungen Menschen nicht mehr richtig funktionieren, fällt mir seit längerem auf. Erwarten Sie nicht, dass ein – sagen wir, Master-Einser-Absolvent mit Auslands- und Praxissemester – Hurra ruft, wenn Sie ihm einen mäßig bezahlten Einstiegsjob in einem zwar renommierten, aber räumlich ungünstig gelegenen Verlag anbieten. Im besten Fall verlangt er ein unangemessen hohes Gehalt, ist aber immerhin bereit, sich zu bewerben und wird mangels Alternativen eingestellt. Nach neun Monaten guter Arbeit kündigt er, weil die Wochenend-Pendelei zu seiner Liebsten zu anstrengend und die Work-Life-Balance unausgeglichen ist. Er geht also zurück und arbeitet für ein sehr überschaubares Einkommen bei einem kleinen Medien-StartUp. Bald wird er Vater werden und Dank flexibler Arbeitszeiten kann er sich intensiv um sein Kind kümmern.
Gewiss, das mögen Ausnahmen sein. Aber sie zeigen einen Trend, der sich mit einer regelmäßigen 50 bis 60-Stunden-Woche nicht gut vereinbaren lässt. Ohne dramatisieren zu wollen: Die Buch- und Medienbranche wird Lösungen finden müssen, um auch künftig für gut qualifizierte Mitarbeiter attraktiv zu bleiben.